Vielleicht sieht Bundesbankchef Jens Weidmann in seiner Forderung nach höheren Löhnen das kleinere Übel. Ein deutliches Lohnplus in Europas größter Volkswirtschaft schöbe die Inflation auf mittlere Sicht an. Das Thema EZB-Staatsanleihekäufe verschwände in der Versenkung. Ein Nebeneffekt: Die Wechselkursrate Euro-Franken hätte freie Fahrt.
Normalerweise mischt sich die Deutsche Bundesbank in die Lohnfindung nicht ein. Nun hat sie es aber doch getan. Weidmann spricht sich heute in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für einen Gehaltsanstieg von drei Prozent aus. Dass sich der frühere Merkel-Berater an das heiße Eisen Tarifautonomie heran traut, könnte Kalkül sein.
Seine Zustimmung zu dem im Juni von der Europäischen Zentralbank (EZB) verabschiedeten Lockerungspaket habe sich Weidmann abkaufen lassen, sagen Notenbankbeobachter. Draghi und die Südeuropäer mussten im Gegenzug das Thema Staatsanleihekäufe bis zum Jahresende vom Tisch nehmen, heißt es. Damit das Thema danach auch gar nicht mehr aufkommt, will Weidmann nun die Inflation anschieben.
EZB-Staatsanleihekäufe wären nur möglich, wenn die Inflationsrate im Euroraum drohe ins negative Terrain zu fallen. Dies soll Draghi einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten gesagt haben. Zuletzt stiegen die Verbraucherpreise um 0,5 Prozent zum Vorjahr. Der Taktiker Weidmann setzt nun bei den Inflationserwartungen an. Sie sollen durch seine Forderung nach dem 3% Lohnplus bereits zum jetzigen Zeitpunkt angehoben werden.
Wenn Weidmanns Taktikspiel aufgeht, würden in den kommenden Monaten die verbliebenen Erwartungen an EZB-Staatsanleihekäufe sukzessive von den Märkten ausgepreist. Die Aussicht auf ein Ende der ultralockeren Geldpolitik im Euroraum dürfte sodann den Euro-Franken-Kurs zu höheren Notierungen zwingen.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) könne von der Bauernschläue von Weidmann und Draghi nur träumen, hört man aus Zürich. Würde SNB-Chef Thomas Jordan das Spiel mit den Erwartungen der Finanzmärkte beherrschen, hätte er durch geschickte Redewendungen und Aussagen den Euro durchaus auf 1,25 Franken hieven können. Aktuell wird für 1 Euro um die 1,2160 Franken bezahlt.
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