Der Euro stieg in den vergangenen vier Monaten von 0,9250 auf 0,97 Franken. Ist das die Trendwende hin zu höheren Kursen? Geht es nach der monotonen Talfahrt der letzten sechs Jahre nach oben? Oder wird die aktuelle Aufwärtsbewegung vom langfristigen EUR/CHF-Abwärtstrend geschluckt?
Eine Zäsur war die unerwartete Leitzinssenkung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Mitte März 2024. Durch diese Hauruck-Aktion von SNB-Präsident Thomas Jordan hat der Anstieg der Euro-Franken-Rate neue Nahrung bekommen. Ob das ausreicht, um eine Situation am Devisenmarkt herzustellen, wo es für 1 Euro 1 Franken gibt, bleibt abzuwarten.
Die Europäische Zentralbank (EZB) legte im April nach. Anders als ihr Kollege Jordan, bereitete Notenbankchefin Christine Lagarde den Devisenmarkt auf die im Juni kommende erste Leitzinssenkung seit acht Jahren vor. Der Euro, der zu Beginn des 2. Quartals 2024 bis zu 0,9850 CHF gekostet hatte, sinkt daraufhin auf 0,97.
Ade Euro-Zinsvorteil
Der Zinsvorteil des Euro ist bald weg. Ihm läuft die Zeit davon. Es bleiben nur noch wenige Wochen, um mit dem Schweizerfranken auf Augenhöhe zu sein. Noch liegt der EZB-Leitzins bei 4,50%. Kommt im Juni eine Verringerung um 0,50% (50 Basispunkte), verkleinert sich der Zinsvorteil zum SNB-Leitzins (aktuell: 1,50%).
Weil EZB-Chefvolkswirt Philip Lane bereits eine "Serie von Leitzinssenkungen" für das 2. Halbjahr angekündigte und die SNB nicht so hohe Senkungen vornehmen kann wie die EZB, wird schwer für den Euro. Zu erwarten ist, dass sein Anstieg der ersten vier Monaten rückgängig gemacht wird.
Aus heutiger Sicht erscheint das den Wenigsten wahrscheinlich, aber dieser Anstieg wird vollständig rückgängig. Zu diesem Ergebnis kommt eine fundierte Analyse ultralangfristiger Devisenzyklen der Euro-Franken-Rate.
Die Kursentwicklung lässt sehr viel länger zurückverfolgen als bis 1999, dem Jahr der Einführung des Euro. Werden Deutscher Mark, Schilling, Franc, Lira und die anderen europäischen Währungen berücksichtigt, kann man de facto bis 1950 zurückgehen.
Es reicht bis zum Nixon-Schock 1970 in den Rückspiegel zu schauen, um Wechselkursprognosen mit mehr Daten zu füllen, was deren Zuverlässigkeit erhöht. Damals hatte der US-Präsident per Paukenschlag die Ära fixer Wechselkurse, das Bretton-Woods-System, beendet.
Nach dem Nixon-Schock lag die Priorität von Europas Währungautoritäten darin, die Wechselkurse untereinander einigermaßen kontrolliert schwanken zu lassen. Die Euro-Franken-Rate hat seitdem fünf ultalangfristige Devisenzyklen durchlaufen, die alle nach dem gleichen Muster abliefen.
Am Anfang kommt es zu einem erheblich Rückgang der Euro-Franken-Rate. Diese Abwärtsphase nimmt in etwa 80% der Zeit in Anspruch. Am Ende kann sich der Euro erholen. Er ist allerdings nie dazu in der Lage, die Verluste von zuvor wettzumachen.
2018-2027: 5. EUR/CHF-Zyklus
Gegenwärtig läuft der fünfte Euro-Franken-Zyklus. Er begann im Mai 2018 mit dem kurzen Wiederanstieg auf 1,20, der das Ende des 4. Zyklus war.
An dieser Kursschwelle hatte die SNB zwischen September 2011 und Januar 2015 einen Mindestkurs unterhalten. Sie hatte damit das Ziel verfolgt, die Schweizer Unternehmen vor einem zu starken Franken zu schützen.
Die Schweizer Wirtschaft hat eine sehr hohe Exportabhängigkeit. Ist der Franken zu stark, können das auch die eine sehr hohe Qualität aufweisenden Schweizer Produkte nicht länger abfedern. Ihre Verkaufszahlen in den Euroländern gehen zurück.
Bis Dezember 2023 sank die Euro-Franken-Rate auf 0,9250. Die Gemeinschaftswährung wertete beschleunigt von der Covid-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und übermäßiger Euro-Geldentwertung (hohe Inflation) um 23% gegenüber dem Schweizer Franken ab.
Damit stellt sich folgende Gretchenfrage: Ist damit das Tief des 5. EUR/CHF-Zyklus drin? Die Antwort: Nein. Dann käme der Zyklus lediglich auf sieben Jahre und erfüllt nicht das Kriterium der Ultralangfristigkeit. Mindestens neun Jahre sollten es schon sein, zeigen Zyklen eins bis vier.
Demzufolge ist das wahrscheinlichste Szenario, dass der Euro im Laufe der EZB-Zinssenkungen unter das bisherige Rekordtief bei 0,9250 CHF sinkt und dann bei etwa 0,88-0,90 Anfang 2026 einen Boden findet. Jetzt setzt die typische Anstiegsphase des Euro ein, die 20% der Zeit des Zyklus dauert.
Nimmt man die Anstiegsphasen der Zyklen eins bis vier zum Maßstab, indem man einen Durchschnitt aus diesen errechnet, würde die Euro-Franken-Rate bis zum 2. Quartals 2027 auf 0,94-0,95 steigen.